Diese Ausgabe unseres SAND-Newsletters ist wirklich ein Proof of Concept. Leider. Denn das Konzept heißt VerNeinbarkeit und der Proof ist das Datum, das neben dem Titel in eurem Mailpostfach steht. Großspurig habe ich Franzi versichert, dass ich hier die Fahne hochhalte, während sie sich in ihr neues Leben mit zwei Kleinkindern und alle gemeinsam als vierköpfige Familie eingrooven.
Kein Eltern-Thema liegt uns derzeit so sehr am Herzen und wird sogar auf der politischen Bühne aktuell so heiß diskutiert wie lange nicht mehr! Und dann sitze ich hier und schaffe es über Wochen nicht, zum Schreiben zu kommen. Es ist zum Haare-Raufen! Nun lest ihr aber diese Zeilen, was bedeutet: Ich habe mir wie ein kleiner Chihuahua Zeit frei gebissen. Ich bin stolz auf mich.
Wie meine letzten Wochen aussahen? Ungefähr so, wie ich es in diesem Reel beschreibe:
Ich habe inzwischen wirklich das Gefühl, dass ich arbeiten gehe, damit ich Geld für eine Kinderbetreuung verdiene, die über das staatliche Angebot hinausgeht. Denn die Betreuungszeiten lassen sich mit unserem eigentlich relativ flexiblen Arbeitsalltag unmöglich vereinbaren. Kurze Zeit nach meiner ernüchternden Feststellung ist dieser Artikel von Jacinta Nandi im Der Freitag erschienen. Darin beschreibt Jacinta ungefähr alles, was ich fühle. Als alleinerziehende Mutter in einem System, das nicht dafür gemacht ist, dass jemand aus der Reihe tanzt aka., dass jemand, Gott bewahre, nicht 24 Stunden am Tag für Arbeit zur Verfügung steht. Weil Kinderbetreuung? Angehörige Pflegen? Das ist keine Arbeit, das ist eine Aufgabe, die wir bitteschön mit mütterlicher Dankbarkeit absolvieren sollen.
Work-Cry-Balance
Nun bin ich nicht alleinerziehend und wir haben das Privileg, niemanden pflegen zu müssen und wir beide verdienen ein Gehalt. Der Beruf meines Freundes bringt es aber mit sich, dass er gerade im Sommer bisweilen an allen Wochenenden unterwegs ist. Oftmals fährt er schon Donnerstagabend los und kommt erst Montagmittag wieder. Meine Sommerwochenenden verbringe ich ergo größtenteils alleine zu Hause. Ab und zu kommt die Babysitterin und ich kann Freund*innen treffen oder ich bekomme Besuch.
Aber mit Kinderbetreuung wird ein einfacher Restaurantbesuch von vier Stunden zu einer durchaus kostspieligen Angelegenheit. Abgesehen davon, dass er dadurch erst möglich wird, haha. Dann habe ich ständig die Uhr im Blick und rechne mir aus, was mich jede Minute Quality-Time mit meinen Freund*innen gerade kostet. Sehr erholsam.
Vergangenes Wochenende stellten wir mit Erschrecken fest, dass Julian die letzten beiden Juli-Wochen jeweils vier Tage nicht in Berlin sein wird, während die Kita von Etti bereits geschlossen ist. Ich schwöre euch, ich habe das Adrenalin durch meinen Körper jagen gespürt. Dann bin ich panisch meine Optionen durchgegangen, um diese Zeit irgendwie zu überbrücken, ohne mir Urlaub nehmen zu müssen. Die Lösung? Ich nehme einen Ausgleichstag, einen Tag kommt die Babysitterin, dann fahre ich zu den Eltern meines Freundes, damit ich dort arbeiten kann und die Woche darauf kommt meine Mutter aus Mainz für vier Tage nach Berlin, um Etti zu betreuen.
Gleichzeitig werde ich den Tagen, an denen Julian da ist, acht, statt sechs Stunden arbeiten, um Überstunden für den Ausgleich zu sammeln. Ich müsste das nicht tun, aber ich kann das irgendwie nicht anders mit mir vereinbaren, weil ich nicht die Mutti mit dem Kinderbonus sein will … wisst ihr, was ich meine? Dieses Gefühl, dass man zeigen muss, dass man TROTZ Kindern ja TROTZDEM abliefert? Nimm das, Bärbel Bas. Eat this, Friedrich Merz. Hör gut zu, Carsten Linnemann. Das ist die Realität. Ein endloser Spagat zwischen Arbeit und Kindern, in denen man als Eltern oftmals überhaupt nicht mehr stattfindet. Und ich muss gestehen, dass meine Liebe zur deutschen Wirtschaft nicht meine Selbstliebe übertrifft. Dafür zeigt mir die Politik dieses Landes, seitdem ich Mutter bin, absolut zu wenig Zuneigung und Entgegenkommen oder auch nur Verständnis.
Mutter statt Humankapital
Vergangenen Montag saß ich um 22 Uhr mit zwei hellwachen, aufgedrehten Kindern im Wohnzimmer und ging meine To-dos durch, als mich wieder diese Panik überrollte. 24 Uhr ist meine Deadline, spätestens dann muss ich ins Bett, wenn ich nicht komplett erschlagen aufwachen möchte. Das Ende vom Lied war, dass ich heulend Julian angerufen habe und ihn gebeten habe, nach Hause zu kommen. Er war auf einem Geburtstag und ist mit der Pizza auf dem Schoß im Uber nach Hause geeilt. Bärbel Bas sagt, viele Frauen sitzen „unfreiwillig in der Teilzeitfalle1“. Nee, Bäbsi, wir haben alle noch einen Vollzeitjob zusätzlich. Aber solange Politik und übrigens auch Gesellschaft, das Großziehen von Kindern als privaten Spaß abtun, solange wird auch der lauteste Appell nichts nützen. Ich bin halt in erster Linie ein Mensch und eine Mutter und keine menschliche Ressource, um euer Brutto-Inlands-Produkt hochzujazzen.
So, und nun? Wie kommen wir aus dieser Vereinbarkeitsfalle wieder raus? Ich habe ganz ehrlich keine Ahnung. Politisch sein, sich füreinander engagieren. Für jene auf die Straße gehen, die keine Zeit dafür haben, für sich einzustehen. Sich interessieren für andere Lebensrealitäten, weil, wie man sieht, eine Idee nicht reicht. Die aktuelle Bundesregierung wird da nicht viel reißen, wenn man sich mal anschaut, wer da in den Ministerien sitzt (kleiner Tipp: Viele Frauen und Mütter sind es schon mal nicht.). Privat füreinander da sein, helfen, Dorf sein. Aber ich denke, das Wichtigste ist, dass wir kollektiv gegen dieses Narrativ und Märchen der Vereinbarkeit angehen. Auf sämtlichen Kanälen. Es gibt keine Vereinbarkeit, außer, man bewirft das Problem mit Geld und Zeit. Und genau das haben die meisten Elternmenschen schlicht nicht. Und Menschen, die dieses Privileg haben, sollten zuhören, empathisch sein, sich bilden und informieren.
Und wie sieht’s bei euch aus?
Wann seid ihr zuletzt in den Vereinbarkeitsstrudel geraten?
Schreibt uns, wie ihr jongliert, scheitert, zaubert oder einfach durchhaltet.
Auf Instagram oder per Mail an hello@allessand.de.
Und warum? Über Vereinbarkeit aus Arbeitgeberinnensicht mit Hanna Rübsamen, CEO von KMB Creative Network
Seit Mitte März bin ich beruflich wieder „unter der Haube“, nach fast zehn Jahren als Freelancerin arbeite ich jetzt als Senior Consultant bei KMB Creative Network, einer PR- und Influencer-Marketing-Agentur. Ich hatte großen Respekt davor, mit zwei kleinen Kindern wieder 32 Stunden pro Woche zu arbeiten. Aber: es läuft erstaunlich gut. Das liegt auch an KMBs Haltung: Als female-led Agency mit zwei Geschäftsführerinnen in Teilzeit zeigt KMB, wie moderne, gelebte Führung aussieht. Zeit also, mal genauer nachzufragen – bei unserer CEO Hanna Rübsamen.
Hanna ist nicht nur CEO, sondern auch Gesellschafterin der School of Facilitating und begleitet seit fast zwei Jahrzehnten Unternehmen durch Zeiten des Wandels. Im Interview spricht sie über Vereinbarkeit, Leadership und Transformation – und ich freue mich sehr, hier mal die Arbeitgeberinnensicht zu zeigen.
Wie definierst du als Arbeitgeberin und Mutter „Vereinbarkeit“?
Vereinbarkeit bedeutet für mich persönlich, dass ich meine eigenen Interessen und die meiner Familie, also meiner zwei Kinder und meines Mannes, unter einen Hut bekomme. Das bedeutet oft, dass wir alle ein paar Kompromisse machen und vielleicht nicht immer 100% unserer Wünsche, Freizeitaktivitäten, Karrierezeit und Quality Time bekommen. Aber eben auch nicht zu wenig. Manchmal gibt es Zeiten, da kommen die verschiedenen Lebensbereiche in ein Ungleichgewicht, dann fühle ich, was „Unvereinbarkeit“ bedeutet. In meinem Fall meistens schlechtes Gewissen in alle Richtungen oder Erschöpfung. Dann müssen Stellschrauben angepasst und die Lebensbereiche wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Das kann ich in meinen Arbeitskontexten sehr gut selbst bestimmen, das bedeutet für mich Freiheit. Als Arbeitgeberin wünsche ich mir, dass dieses Gleichgewicht auch für meine Kollegen und Kolleginnen gelten. In einem dynamischen Umfeld wie dem Agentur Business heißt das, maximale Flexibilität in Bezug auf Zeit und Ort, aber vor allem auch Teamstruktur. Es braucht gut funktionierende Teams für flexible Modelle.
Betrifft das Thema hauptsächlich Eltern oder siehst du es als generelles Thema?
Ich denke schon, dass es ein generelles Thema ist. Wenn wir gut auf uns selbst achten wollen, müssen wir auch mal Feierabend machen, auf Inspiration, soziale Kontakte und Ruhephasen achten. Ich glaube nur, dass es uns leichter fällt, uns selbst zurückzustellen um die extra Runde zu drehen, eine Nacht kürzer zu schlafen, die nächste Geschäftsreise, das nächste Projekt doch noch zu wuppen. Wenn zuhause Kinder warten, gibt es keine Ausreden und die soziale Kontrolle greift schneller. Eltern, die vorrangig auf ihre Karriere achten, erleben auch gesellschaftlichen Druck – sie sollten mehr für ihre Kinder da sein, sagen dann Großeltern oder Freundinnen und der Blick des Erziehers nach dem Spätmodul spricht Bände. Erwachsene ohne Kinder, die ihre Karriere priorisieren, erleben da vielleicht seltener den erhobenen Zeigefinger?
Welche Lernkurve hast du in deiner professionellen Laufbahn hier erlebt?
Da gibt es viele Aspekte. Ich glaube, der wichtigste ist die Teilung der Verantwortung mit meinem Mann. Wir haben uns von Anfang an gleichberechtigt aufgestellt und haben in den vierzehn Jahren mit Kindern viel dazu gelernt. Sich gegenseitig gönnen ist mein Schlüssel zum Glück. Wenn ich ihm seine Auszeiten gönne, die er für Entspannung braucht, gönnt er mir auch die Karrierezeit, die ich für meine zwei Jobs brauche. Das gegenseitige Verständnis dafür, dass auch beide in unterschiedlichen Dingen Erfüllung finden. Außerdem habe ich gelernt mich abzugrenzen und nicht mehr alles selbst machen zu wollen. Das fing beim ins Bett bringen an, über die wichtigen Kundenmeetings, Strategiepräsentationen, Business Trips bis hin zu der Vorbereitung der Mathearbeit mit dem Teenager. Andere befähigen, vertrauen, Fehler aushalten bedeutet eigene Freiheit.
Bei KMB arbeiten Menschen mit und ohne Kinder – wie wird man allen gerecht, wenn es um Teilzeit, Homeoffice und Team-Gefühl geht?
Ich hatte mal eine Kollegin, die mir sagte, sie hätte das Gefühl ihre Freizeit ohne Kinder sei weniger wert als die Freizeit der Kolleg*innen mit Kindern. Das hat mich sehr getroffen. Seitdem habe ich immer versucht, für alle gleichberechtigte Bedingungen zu schaffen. Alle können bei KMB in Teilzeit arbeiten und Homeoffice machen - vom Trainee bis zur Geschäftsführung, mit und ohne Kinder. Alle können ein Sabbatical machen oder zusätzlichen Urlaub nehmen – ob für die Familienzeit oder die individuelle Weltreise. Wir haben viele Team Plattformen auf die Vormittage gelegt, sodass Eltern nicht per se von Terminen ausgeschlossen sind. Natürlich gibt es Team-Momente, bei denen Eltern seltener dabei sind. Der spontane Feierabend Drink, die After Hour nach der Weihnachtsfeier. Durch regelmäßige Strukturen versuchen wir, solche Events plan- und organisierbar zu machen.
Gibt es Rahmenbedingungen, die du dir damals selbst gewünscht hast und die du nun umsetzen und möglich machen kannst?
Ich habe KMB tatsächlich schon immer als ziemlich familienfreundlich erlebt. Als ich vor 14 Jahren meine erste Tochter bekam, wurde mir angeboten bei vollem Gehalt nur Teilzeit anwesend zu sein und den Rest auf Vertrauensarbeitszeit zuhause zu machen. Das fand ich damals schon progressiv. Homeoffice und Arbeitszeiterfassung gab es noch nicht. Ich selbst fand dieses Modell nach einer Zeit allerdings ziemlich anstrengend: nach einem Arbeitstag, Kinder und Familiennachmittag, Haushalt dann noch mal zu arbeiten, das geht an die eigene Substanz. Daher empfehle ich heute immer, ein Teilzeitmodell auch als solches zu leben. Das bedeutet aber, dass dann andere Menschen empowered werden müssen, Personalentwicklung muss stattfinden, damit der eigene Aufgabenbereich von jemand anderem übernommen werden kann. Und das ist oft gar nicht so leicht – Zeit für Entwicklung fehlt, der eigene Perfektionismus steht im Weg, die Angst sich selbst ersetzbar zu machen.
Ich glaube, das ist es, was ich heute anders mache – ich gebe Menschen die Möglichkeit, die Strukturen bei KMB mitzugestalten in denen sie ihre Vorstellung von Vereinbarkeit leben können.
Wo kommt man auch als Firma an die Grenzen des Machbaren?
Also Corona war nicht machbar – Kinder zuhause, Home Schooling, das Geschäft muss laufen. Auch Ferienzeiten sind echt schwierig, alle Eltern verreist und die Teams müssen das covern. Es ist auch herausfordernd, wenn die Teams sehr klein sind und die Mutter oder der Vater geht um 15.00 nach Hause. Als Organisation sind wir deshalb bemüht, alle Mitarbeitenden möglichst flexibel zu befähigen, um so auch spontan Abwesenheiten vertreten zu können. Und es bleibt natürlich auch ein großes Stück Eigenverantwortung bei den Mitarbeitenden selbst. Wenn ich meine Bedürfnisse nicht klar äußere – sei es der Wunsch nach Weiterentwicklung oder der Mangel an Vereinbarkeit – dann können wir auch als Arbeitgeberin nur schwer Lösungen bieten.
Wo muss seitens der Politik und ggf. gesellschaftlich etwas ändern?
Kinderbetreuung, Steuervorteile, vor allem Unterstützung von Alleinerziehenden – die wichtigen politischen Maßnahmen, die Familien brauchen, um Vereinbarkeit möglich zu machen. Gesellschaftlich ist die Rolle des Mannes als Teil der Care Arbeit immer noch nicht akzeptiert, da bin ich mir meiner privilegierten Situation bewusst. Würden Konzerne und auch der Mittelstand hier stärker mitziehen, würden Arbeits- und Familienzeiten gerechter verteilt und für alle vereinbar werden. Auch die Anerkennung von Mental Load würde helfen, damit sich einzelne in ihrem Struggle nicht so allein fühlen. Insgesamt glaube ich, dass gegenseitige Unterstützung – sowohl innerhalb der Familie, im sozialen Umfeld und auch der Gesellschaft – es Menschen ermöglicht, Familie und Beruf besser zu vereinbaren.
Wie wurde der Prozess zu einer flexiblen Arbeitsumgebung angestoßen?
Durch Vertrauen. Das KMB Team ist in den letzten 20 Jahren gemeinsam erwachsen geworden und viele von uns wurden nach und nach Eltern. Wir wussten, dass wir die besten Mitarbeitenden nur halten können, wenn wir ihnen Vertrauen und maximale Flexibilität in dieser neuen Lebensphase schenken. Und natürlich hat die Digitalisierung einiges ermöglicht – vom Spielplatz, den Azoren oder zuhause können wir mit guter Infrastruktur ziemlich gut arbeiten. Der Grundstein war in unserer Kultur also schon gelegt, dann brauchte es nur noch die Pandemie um das nächste Level zu nehmen.
Wie lange hat es gedauert, bis für euch die Transformation abgeschlossen war – oder seid ihr noch im Prozess?
Transformation ist ein Prozess, der für KMB niemals abgeschlossen sein wird. Freude an Veränderung, Neugier und Innovationskraft sind für mich die Basis für eine lernende Organisation und damit ihre Zukunftsfähigkeit – bei KMB nennen wir es Liebe, Mut und Wissen. Auch die Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden, darunter auch viele Eltern, werden sich in den nächsten Jahren bestimmt wieder ändern. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen werden jeden Tag auf uns einwirken und wir müssen uns ihnen anpassen. Ich finde ja: alles andere wäre auch langweilig!
Worauf seid ihr besonders stolz und was waren hier eure größten Learnings?
Ich bin besonders stolz auf unsere bewusste Entscheidung hin zu einer lernenden Organisation. Die Erkenntnis, dass KMB nur mithilfe von allen Beteiligten zukunftsfähig aufgestellt sein kann, hat unsere Kultur in den letzten Jahren stark geprägt. Mit einer offenen Feedbackkultur und partizipativen Prozessen können wir die Erfahrung von langjährigen Kollegen und Kolleginnen mit dem Trendgespür der nächsten Generationen verbinden. Auch unser Netzwerk ist von Vertrauen und Verbundenheit geprägt und macht die Agentur aus. It’s a people business – also sollten wir den Menschen auch im Auge behalten und das Thema Vereinbarkeit vielleicht sogar noch stärker auf die Agenda setzen.
Danke für deine Zeit und die wertvollen Einblicke!
Dem Kind einen Namen geben
Wie weit verbreitet so manches Phänomen rund um Vereinbarkeit, Überforderung und Druck von Außen ist, zeigt sich darin, dass es für fast alle eine Bezeichnung gibt. Wusstet ihr, dass Mom Rage real ist? Oder dieser Wunsch, sich mal einfach das Bein zu brechen, um wenigstens drei Tage Ruhe zu haben, einen Namen hat. Hier erklären wir euch acht Begriffe, die einen euch mit Sicherheit bekannten Zustand beschreiben:
Revenge Bedtime Procrastination
Wenn man abends zu lange wach bleibt, um endlich mal Zeit für sich zu haben – obwohl man todmüde ist. Klassisches Phänomen bei Eltern, die sich ihr Leben nach 21 Uhr zurückholen. Jawollooo!
Hospital Fantasy
Der Tagtraum, leicht verletzt im Krankenhaus zu landen, einfach nur um endlich Ruhe und Schlaf ohne Unterbrechung zu haben. Ich erinnere mich noch gut an zwei himmlischen Tage Ruhe nach einer kleinen Operation.
Invisible Work / Mental Load
All die kleinen, nie endenden Aufgaben, die einfach „mitlaufen“ (z. B. Zahnpasta nachkaufen, an Geburtstagskuchen denken). Sie kosten Energie, werden aber nicht als „Arbeit“ anerkannt.
The Third Shift
Nach dem Job und der Kinderbetreuung kommt die „dritte Schicht“: Die zusätzliche emotionale und mentale Arbeit, die v. a. Frauen oft leisten, z. B. Organisation, emotionale Arbeit oder ständige Verfügbarkeit. Sie bleibt meist unsichtbar, wird nicht entlohnt und ist ein zentrales Thema in der Diskussion um Gendergerechtigkeit.
Mom Rage
Explosive Wutanfälle (oft gegen sich selbst oder im Kopf), die entstehen, wenn chronische Überforderung sich Bahn bricht. Ein Tabuthema, aber viele Mütter berichten davon. Und schämen sich gleichzeitig.
Helicopter Default Mode
Als Elternteil hat man nie ganz Feierabend. Selbst beim Seriengucken ist das „Was muss ich noch tun“-Radar aktiv. Abschalten unmöglich.
Me-Time Pressure
Wenn man endlich mal Zeit für sich hat und direkt das Gefühl aufkommt, dass man diese jetzt optimal nutzen muss: Sport machen, Selfcare, Freund*innen treffen. Das Ergebnis: Stress. Ja, das ist auch ein Ding.
Selfcare-Guilt
Das schlechte Gewissen, weil man sich Zeit für sich nimmt, während das Kind (so denkt man) die absolute Aufmerksamkeit verdient. Das toxische Ideal von der immer zugewandten Mutter.
In diesem Sinne:
Gelesen, gelikt und nachgedacht
Herzlichen Glückwunsch an unsere Thekla Wilkening!
Viele von euch kennen sie als Aktivistin, Autorin und langjährige Stimme im feministischen Diskurs. Im Juni hat sie ihren ersten Roman veröffentlicht: Wir bleiben wir – Franca und Ed. Wir sind sehr stolz und ich kann es kaum erwarten, den Auftakt ihrer literarischen Reihe zu lesen. Wir bleiben wir ist ein persönlicher, reflektierter Roman über das Erwachsenwerden, Muttersein und das Ringen um die eigene Identität zwischen Care-Arbeit, Gesellschaftsdruck und feministischem Anspruch. Thekla verwebt Alltagsbeobachtungen mit großen Fragen – klug, ehrlich und nahbar. Hier könnt ihr ihr Debüt direkt bestellen.
Sind Menschen ohne Kinder glücklicher? Das legt zumindest eine Studie von 2019 nahe. Aber liegt’s wirklich an den Kindern – oder an allem drum herum? Geld, Vereinbarkeit, Zukunftsängste? Und warum wird diese persönliche Entscheidung so gnadenlos öffentlich verhandelt?
Maximiliane Häcke und Alice Haruko sprechen im Podcast Feuer & Brot genau darüber, aus der Perspektive einer Mutter und einer Frau, die noch unsicher ist. Hörenswert, klug und voller Food for Thought.
Wisst ihr noch, was ihr nach der Geburt im Krankenhaus zu essen bekommen habt? Nach Pollys Geburt gab’s bei mir im Kreißsaal noch eine ordentliche Portion Nudeln, 2021 auf Station frisches Porridge – bei Etti 2024 dann Vollkornbrot mit Käse und ein bisschen Obst. Es war okay. Aber war es das, was man einer Frau geben sollte, die gerade zehn Stunden lang ein Kind auf die Welt gebracht hat?
Die Petition „Nährstoffreiche Krankenhausverpflegung nach der Geburt – weil ein Käsebrot nicht reicht!” fordert genau das: kräftigendes Essen, das Fürsorge und Wertschätzung zeigt. Damit das hier:
nicht mehr das Essen ist, mit dem Gebärende im Krankenhaus sprichwörtlich abserviert werden. Denn wir wissen, wenn Männer gebären würden, gäbe es in jedem Krankenhaus ein angeschlossenen Block House. Ironie off.
#teenmoms trendet auf Tik Tok? In diesem Reel von Gyncast von und mit der tollen Prof. Dr. Mandy Mangler habe ich innerhalb von zwei Minuten sehr viel Neues und Beunruhigendes gelernt. So sind Frauenkörper erst zwischen 20 bis 30 Jahren im (natürlichen) Idealalter für eine Schwangerschaft. Davor und danach kann es eher zu Risiken kommen. Und: Nur zehn Prozent aller Väter von Teenager-Müttern sind auch Teenager. 90 Prozent sind älter. Leuteee. Hier werden einige diskussionswürdigen Punkte angebracht, über die wir reden müssen. Aber dabei immer im Hinterkopf behalten: Das System muss sich ändern, nicht das Individuum.
Während meiner Recherche für diese Ausgabe bin ich über das Interview mit der alleinerziehenden und politisch aktiven Psychologin Theda Dourado mit Linda Lieber von der Heinrich Böll Stiftung NRW gestoßen. Wie vereint man Aktivismus, Elternschaft, politische Ämter und Ehrenamt, wenn man sich alleine um ein Kind kümmern muss? Im Interview gibt Theda spannende Perspektiven und erzählt natürlich auch aus ihrer Sicht. Über die strukturelle Benachteiligung von Alleinerziehenden und Menschen mit Kindern, nicht nur in der Politik. Es müssen alle Perspektiven mit an den Tisch, damit Lösungen erarbeitet werden, die allen helfen. Das ganze Interview könnt ihr hier lesen.
Kennt ihr starke Stimmen, die mehr Sichtbarkeit verdienen?
Schickt uns gerne Porträts, Artikel oder Accounts von Menschen, die Vereinbarkeit leben, anstoßen oder politisch fordern.Ich stehe ja auf alles, was nach Kräuterhexe riecht. Vor allem wenn Bodylotions, Cremes, Seifen und Raumduft riechen, als wäre ich gerade in einem Kiefernwald oder auf einem Lavendelfeld. Bei Retterspitz bekomme ich all diese Düfte ins Badezimmer und fühle mich danach immer wie neu geboren und als hätte ich mein Leben im Griff. Ein wenig Mini-Spa im stressigen Alltag. Besonders niedlich finde ich das Malbuch „Rettis kleine Pflanzenfibel“, mit der Kinder spielend in die Welt der Heilpflanzen und deren Wirkung eintauchen. Die nächste Generation Witches in the making, haha.
Mit diesem Newsletter verabschieden wir uns in die Sommerpause und melden uns Ende August wieder. In der Zwischenzeit wird Lisa sechs Wochen Kitaschließzeit überleben und versuchen, weiterzustudieren. Und Franzi kehrt aus ihrer Elternzeit in den Job zurück – wir werden uns also viel zu erzählen haben! Danke, dass ihr SAND lest. Habt einen wunderbaren Sommer!
Habt ihr Input, Fragen, Ideen? Schreibt uns auf Instagram oder per Mail an hello@allessand.de!
Brauche hieraus
ganz viele Zitat slides zum Teilen! Du sprichst mir aus der sandigen Seele 💜
Alles JA! Danke 🤌🏻😤🫶🏻