Gestatten: Ich, eine bad mom
Ich bin auf Spurensuche gegangen und endlich zur Anti-Heldin meiner eigenen Mutter-Saga geworden
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Das inhärente Bedürfnis der Menschen, alles zu bewerten oder in Schubladen zu stecken, schlägt einem mit dem Eintritt ins Elternsein mit einer besonderen Wucht entgegen. Von der Wahl des Inhaltes der Brotdose bis zur Kleidung des Kindes wird ja wirklich alles auf den öffentlichen Seziertisch gelegt. Ich kann inzwischen damit gut leben, da ich in den mehr als drei Jahren, in denen ich jetzt Mutter bin, gelernt habe, mich abzugrenzen und mir nicht alles, was mir eine (meist) fremde Person entgegenschleudert, zu Herzen zu nehmen. Aktuell habe ich aber wieder das Gefühl, dass diese Frage nach der guten Mutter (und auch dem guten Vater) wieder sehr präsent ist – medial und im Alltag. Ich habe gemerkt, wie ich mich also vermehrt selbst mit dieser Frage konfrontiere: Bin ich das, eine gute Mutter? Sind wir gute Eltern? Was steckt hinter dem Wort „gut“ eigentlich wirklich? Dieser Artikel ist auch eine Spurensuche.
Die Selbstzweifel, die bleiben
In neun von zehn Situationen ist es mir wirklich komplett wumpe, ob mich jemand schief anschaut, weil ich beim Stillen auf der Parkbank auf meinem Handy herumwische oder weil ich auf dem Spielplatz ein Schokobrötchen aus der Tasche zaubere. Es hat mich aber einiges an Zeit gekostet, dieses Selbstbewusstsein aufzubauen und vor allen Dingen in besagten Situationen auch aufrechtzuerhalten. Die Pflicht ist schließlich das Eine, die Kür aber noch mal etwas Anderes. Denn: Die zehnte Situation, die ich mir dann sehr zu Herzen nehme, ist leider meistens die, die nachhallt. Ich würde es begrüßen, würden wir einfach damit aufhören, uns ein Bild von einer Person oder eben einem Elternteil zu erlauben, nur weil wir sie oder ihn für fünf Minuten im öffentlichen Raum beobachtet haben. Ich klammere mich da keinesfalls aus. Auch ich erwische mich täglich beim Bewerten anderer Eltern und muss mich dann wirklich sehr bewusst dazu anhalten, meine initialen Gedanken noch mal zu reflektieren.
Zurzeit bin ich wieder viel an den Wochenenden alleine mit den Kindern, da mein Freund als Produktionsleiter auf Konzerten jetzt die Festivalsaison mitnimmt. So sehr ich damals die Brückentage und langen Wochenenden im Mai sprichwörtlich gefeiert habe, so sehr graut es mir inzwischen vor jedem zusätzlichen Tag, an dem die Kita geschlossen ist und ich die 24/7 one-woman-show für Etti und Polly mache. Es ist besonders ermüdend, wenn Polly unterwegs keine Lust mehr hat auf mein Spaßprogramm. Ich muss dann warten, bis ihr Motor sich wieder abgekühlt hat. Von den wenigen Versuchen, mich durchzusetzen, bin ich fast traumatisiert (und ich nutze dieses Wort wirklich bewusst), da sie in riesigen Desastern endeten, in denen ich rückblickend auf alle unfreiwillig Anwesenden in dieser Szene gewirkt haben muss, wie eine Furie. Diese Situationen möchte ich einfach aus meinem Elterngedächtnis löschen.
„Und laut. Alle sind laut, das ganze Abendessen ein Lärm, nein, der gesamte Tag, voll mit ihren Rufen, ihrem Wollen, ihrem Streiten und Bitten und Brüllen. {…} Sie ist nie allein, nicht einmal für Sekunden. Es ist nie still, nicht einmal zum Luftholen.“
Die Wut, die bleibt von Mareike Fallwickl
Ich wäre gern eine Wolle-Seide-Body-Mama
Vor mir selbst kann ich meine Kontrollverluste und Hintertüren in Sachen Erziehung gut verargumentieren: Stress, wenig Schlaf, eine wichtige E-Mail, die beantwortet werden möchte, der Wunsch nach einer Auszeit von den Pflichten. Natürlich weiß ich, wie es besser ginge. An Tagen, an denen ich seit fünf Uhr früh wach bin und drei Stunden geschlafen habe, hat die verständnisvolle Diplomatin in mir allerdings oft frei, da helfen auch keine Nicola Schmidt und keine Philippa Perry. Da bin ich nicht mehr gut, keine Wolle-Seide-Body-Mama. So gern ich das auch wäre. Denn hinter diesem ominösen „gut“ vor unserer Elternrolle stecken, neben überhöhten Idealen und Anforderungen, vor allem ein klassistisches und neoliberales Verständnis der Mutter- und Elternrolle. Wir machen doch alle diesen Job zum ersten Mal, ohne Ausbildung oder Studium und vor allem mit ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten und Ressourcen.
Im Leitartikel des Zeit Magazins von vor zwei Wochen stellt sich die Autorin Ileana Grabitz retrospektiv die Frage, ob sie denn eine gute Mutter gewesen ist. Ihr schöner Artikel kommt in etwa zu dem gleichen Ergebnis wie ChatGPT, wenn man es fragt, was eine gute Mutter / Vater ist. Das habe ich nämlich gemacht und dabei noch ergänzend gefragt, ob es nicht eigentlich ein nichtssagender Begriff ist:
„Man könnte argumentieren, dass der Ausdruck ‚gute Mutter‘ {‚guter Vater‘} bis zu einem gewissen Grad nichtssagend ist, weil er stark von subjektiven, kulturellen und sozialen Kontexten abhängt. Was als ‚gute Mutter‘ angesehen wird, kann je nach Gesellschaft, Kultur, historischen Zeiträumen und individuellen Perspektiven erheblich variieren.“ – ChatGPT
Auch die künstliche Intelligenz weiß hier also nicht wirklich weiter. Fast schon beruhigend. Und wie sieht es mit meiner Mutter aus? Der Einfluss der Eltern auf das eigene Elternsein wurde schließlich in zahlreichen Studien erforscht.
War meine Mutter „gut“?
Das habe ich sie einfach mal an einem Samstagvormittag via SMS gefragt:
„Ich habe mich das damals selten gefragt. Ich habe, wenn ich es im Nachhinein betrachte, immer relativ instinktiv gehandelt. Ansonsten war ich so in der Situation drin mit zwei sehr kleinen Kindern, alleine, keine Kita, dass ich nicht drüber nachgedacht habe, ob ich eine gute Mutter bin, bzw. was zum Teufel das sein soll. Es ging ja nicht um mich. Ich finde es heute sehr viel schwieriger als früher. Ständig muss alles hinterfragt, bewertet, in Schubladen verpackt werden. Das macht es Müttern so schwer. Irgend jemand weiß es besser und doziert rum. Das war früher nicht so. Die Mütter setzen sich selbst unter Druck. Man muss berufstätig sein, immer gut gelaunt, verständnisvoll, gutaussehend. WTF 🤬 Im Rückblick: Ich glaube, ich habe alles ganz gut gemacht. Ihr seid beide zu sehr guten Menschen geworden auf die man stolz sein kann. Übrigens auch im Hinblick auf eure eigene Elternschaft.“
Ich habe schöne Erinnerungen an meine Kindheit. Klar, es gab auch Streit oder Frust. Es gibt Dinge, die ich mir rückblickend anders gewünscht hätte. Im zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext denke ich aber, hatte ich eine sehr gute Kindheit, ein gutes Aufwachsen.
Ab sofort bin ich eine bad mom*
Für mich ist es an der Zeit, diesem „gut“ keine weitere Bühnenzeit mehr zu gestatten. Es ist so ein schreckliches Fähnchen im Wind, nimmt keine Rücksicht auf Umstände und hat dabei so unverrückbare Ansprüche. Nee, sorry. Dieses „gut“ als Mensch wäre eine unerträgliche Person, der man es niemals recht machen kann. Der schlechteste Life-Coach, mit so toxischen Ratschlägen, der alle Teilnehmenden komplett demotiviert aus seinem Vortrag entlässt. Solange dieses „gut“ aber noch der Maßstab so vieler anderer ist, solange bin ich dann sehr gern die bad mom. Die, die ihr Kind vor dem TV parkt, um fünf Minuten Ruhe zu haben. Die, die Bestechungs-Quetschies in der Tasche hat, die schimpft und brüllt und sich manchmal gern einfach ihre Koffer packen und abhauen will. Die, die ihr Kind mehrmals pro Tag anlügt, um nicht diskutieren zu müssen und die es leid ist, zu stillen, zu wickeln, zu kümmern, zu verstehen, zu caren.
Bücher – nicht nur für bad moms!
Abschließend möchte ich noch einige Bücher empfehlen, in denen ich mich sehr verstanden gefühlt habe und die mir dabei geholfen haben, mich nicht in den diffusen Ansprüchen meiner Umwelt an mich und meine Rolle zu verlieren. Und dabei, eine gesunde Wut zu entwickeln:
1. Mythos Mutterinstinkt von Annika Rösler & Evelyn Höllrigl Tschaikner – 2. Das Unwohlsein der modernen Mutter von Mareice Kaiser – 3. Gebären wie eine Feministin von Mili Hill – 4. Frauen und Kinder zuletzt von Sabine Rennefanz – 5. Die Wut, die bleibt von Mareike Fallwickl – 6. Ich liebe meine Kinder machen mich fertig von Marlene Hellene – 7. Alle Zeit von Teresa Bücker
Die kommende Ausgabe von SAND – Der Newsletter für Eltern erscheint bereits in einer Woche. Franzi wird euch darin mitnehmen in die verschiedenen Bubbles ihres Alltages – von herausfordernd bis genüsslich! Ab dann rieselt SAND - Der Newsletter für Eltern alle zwei Wochen in euer Postfach.
(*Disclaimer: Inspiriert zu dem Begriff ‚bad mom‘ wurde ich von der Content Creatorin Alina Friederich)
Danke vielmals für den schönen Text!