Die Qual der Bundestagswahl
Kinder Kinder, was wird das. Am Sonntag wird gewählt und wir gehen auf Spurensuche. Wo finden Familien politisch statt? Wie ist die Stimmung im Land und womit müssen wir rechnen? Let's get into it!
Ich, Lisa, hatte kürzlich ein ganz interessantes „Gespräch“ auf Instagram mit einem alten … sagen wir mal Bekannten. Denn befreundet waren wir nie. Man kannte sich aus dem erweiterten Freundeskreis. Dieser Mann jedenfalls slidete in meine DMs und echauffierte sich über eine Story, die ich kurz zuvor gepostet hatte und in der ich mich wiederum darüber echauffierte, dass Google Maps nun den Namen „Golf von Amerika“ in Klammern unter dem eigentlich Namen „Golf von Mexiko“ aufführt.
Der Meinung meines Bekannten nach sei das alles halb so schlimm und sowieso, alle Nationen dieser Erde hätten geografische Eigenbezeichnungen. Mag sein. Aber für mich steckt da eben mehr dahinter. Neben einer verbalen Territorialmarkierung sehe ich hier vor allem fragile Männer-Egos und Nebelkerzen am Werk. Mit solchen Handlungen möchte Trump sich als Macher darstellen, als ein Mann, der anpackt. Doch löst die Umbenennung eines internationalen Gewässers keine außen- und vor allem innenpolitische Probleme in Luft auf. Meinem Hinweis darauf sowie, dass die Politik von Trump vor allem Minderheiten und Frauen angreife, er zudem Medien aus dem Weißen Haus verbanne, die nicht dieser Anordnung folgen (also schlicht Beschneidung der Pressefreiheit) und seine Politik auch hierzulande Schule mache, wurde mit so bescheuertem Derailing und Gefasel begegnet, dass ich schlussendlich den Chat löschte.
Familie? Schulen? Kita oder Kinder? Fehlanzeige
Warum ich euch das erzähle? Weil mir zum einen nochmal klarwurde, wie sehr man als Frau und Mutter eine intersektionale feministische Empathie in sich trägt, die vielen Männern (nicht allen, aber vielen) offensichtlich aus Mangel an Erfahrungswerten abgeht. Zum anderen, weil ich diese Mechanismen Trumps, also mit großem Gepolter über vermeintlich absolut relevante Themen, auch hierzulande im Wahlkampf beobachte. Gerade als Frau, Elternteil und als Mutter. Denn zwischen dem ganzen Gepolter findet ein Großteil der Bevölkerung keine bis kaum Erwähnung: Familien, Kinder, Pflegende, Alleinerziehende und mehr.
Ich bin gerade einfach sooo müde davon, dass es politisch hierzulande kaum darum geht, wirklich mal reinzufühlen in die Sorgen der Menschen, sondern darum, Macht um jeden Preis zu erhalten. Es zeigt sich gerade einmal mehr, dass große Teile unserer Bevölkerung keine Lobby und unzureichende politische Repräsentation haben.
Was, wenn Kinder wählen könnten?
Bei der Lektüre ihres wichtigen Buches „Frauen und Kinder zuletzt“ von Sabine Rennefanz (psst, sie hat uns weiter unten einige Fragen beantwortet!) bin ich nach Corona erneut über die Idee eines Kinderwahlrechts gestolpert. Vielleicht lag es auch daran, dass ich selbst inzwischen eine Tochter hatte, aber plötzlich stand ich dieser Frage viel offener gegenüber, als einige Jahre zuvor (das Thema wird ja bereits länger diskutiert). Inzwischen bin ich der festen Überzeugung, dass ein Kinderwahlrecht die einzig mögliche Lösung einer fairen politischen Repräsentation der Bevölkerung ist. Das Wahlrecht ab Geburt diskutieren inzwischen immer mehr Bündnisse, Vereine und Philosoph*innen. Umsetzbar wäre dies über eine Reform des Wahlrechts durch Einführung eines Minderjährigenwahlrechts. Das könnte ab Geburt gelten (und bis etwa zum 14. oder 16. Lebensjahr durch einen oder beide Elternteile, bzw. eine betreuende Person exekutiert werden).
In seinem Zeit-Artikel von Februar dieses Jahres beklagt Hanno Rauterberg gar eine „Gerontokratie“, also eine Demokratie der Alten. Und ja, ich sehe das inzwischen auch so. Das Wahlrecht ist, sobald man 18 Jahre alt ist und es sich qua Alter quasi erarbeitet, oder eher er-lebt, hat, sowas von heilig. Es dürfen bis zu einem gewissen Grad sogar Demenzerkrankte wählen – notfalls mit Unterstützung. Warum gewährt man diese Rechte nicht auch Kindern? Denn für deren politisches Wohlergehen und Repräsentation sind die Eltern verantwortlich.
Steuernummer ab Geburt, na klar. Wahlrecht? Nein.
Schaut man sich die Altersstruktur der deutschen Bevölkerung an, wird schnell klar, dass da ein großes Ungleichgewicht herrscht. Mehr als die Hälfte verteilt sich auf die Altersstrukturen ab 25 bis 39 Jahre. Warum also eine Politik betreiben für alle darunter? Deren Stimmen haben ja kein Gewicht, damit lassen sich keine politischen Karrieren machen. Aktuell gibt es in Deutschland rund 12 Millionen Familien (Quelle). 12 Millionen von knapp 85,5 Millionen. Das sind 14 Prozent, das ist nicht sehr viel. Das ist das politische Gedöns.

Meine anfänglichen Hoffnungen zum Regierungsstart der großen Koalition 2021 sind schon lange in sich zusammengefallen wie ein Kartenhaus in einem Herbststurm. Aber was war ich zuversichtlich – ihr erinnert euch vielleicht an DAS Selfie von 2021. Nun, inzwischen wirkt es mehr wie ein Schnappschuss ehemals Verliebter, die sich inzwischen nach einer dysfunktionalen amour fou einen Rosenkrieg über ihre Anwält*innen liefern.
In vier Tagen ist also Bundestagswahl … und jetzt?
Wen ihr wählen könnt, sollt, müsst … das obliegt euch und ich hüte mich, euch hier meine persönliche politische Agenda aufzudrücken. Ich sage euch aber, wen ich wähle, auf Instagram ist es ohnehin kein Geheimnis. Ich werde Grün wählen. Seit drei Jahren bin ich in der Partei und habe auch davor bei den sich bietenden demokratischen Ereignissen meine Kreuzchen (oder mein Kreuz) bei Grün gemacht. Ich sympathisiere auch sehr mit Der Linken, die aktuell ja die U18-Wahl für sich entscheiden konnte. Schon beeindruckend, wenn man bedenkt, dass im Jahr 2021 bei den unter 18-jährigen Rot-Grün das Rennen machte und die FDP sogar auf fast 20 Prozentpunkte kam (ein schadenfrohes *lol* an dieser Stelle sei mir verziehen). Aber für wen auch immer ihr am 23. Februar 2025 eure Kreuze macht, in Sachen Familien- und Sozialpolitik wird sich in den kommenden vier Jahren vermutlich nicht mehr tun, als bisher. Da bin ich aktuell desillusioniert. Aber ich lasse mich sehr gern überraschen.
Wahl-o-mat, Wahltraut, Real-o-mat: Wir nehmen sie alle!
Ihr seid noch unsicher? Neben dem inzwischen schon ikonischen Wahl-o-mat von der Bundeszentrale für politische Bildung, wollen wir euch, was u.a. frauenpolitische Themen sowie Inklusion, Gleichstellung und Anti-Rassismus angeht, die Wahltraut von Sally Starken und Cordelia Röders-Arnold empfehlen. Klopft mal ab, welche dieser Themen eigentlich auf eurer Agenda stehen und welche nicht – und wie ihr dazu steht. Der Real-O-Mat des Onlineportals „Frag den Staat“ ist ebenfalls sehr aufschlussreich, da er die Wahlversprechen der Parteien mit dem Abstimmungsverhalten abgleicht und so aufzeigt, wer die längste Lügennase hat.
Unnützes Wissen an dieser Stelle: Der Wahl-o-Mat wurde vom Großvater von Ski Aggu entwickelt. Respekt geht raus.
Und warum? Drei Gespräche: Mit der Journalistin und Autorin Sabine Rennefanz, Hauptstadtjournalistin Katharina Hamberger und der Initiative Eltern Gegen Rechts
Autorin und Journalistin Sabine Rennefanz: „Der Fortschritt ist eine Schildkröte”
Sabine Rennefanz ist preisgekrönte Journalistin und Autorin und Mutter von zwei Kindern. Neben familienpolitischen Themen liegt ihr Schwerpunkt in ihrer ostdeutschen Herkunft. Aus dieser Perspektive kommentiert sie im Spiegel seit März 2022 in ihrer Kolumne „Neue Heimatkunde“ Gesellschaftliches und Politisches. Aktuell erschienen ist von Sabine Rennefanz der Roman „Kosakenberg“. Wir sind sehr stolz und geehrt, dass sie sich für SAND Zeit für unsere Fragen genommen hat.
Die Themen Familie, Kinder(-armut), Bildung, Chancengleichheit oder Sicherheit für Frauen und Kinder in Deutschland haben in diesem Wahlkampf bisher wenig bis gar keine Erwähnung gefunden. Warum lässt sich mit Familienpolitik so schlecht Wahlkampf machen?
Familienpolitik spielte schon der vorangegangenen Wahlperiode kaum eine Rolle. Die Ampelkoalition war sehr ambitioniert angetreten, wollte eine Kindergrundsicherung einführen, das Elterngeld reformieren, Abtreibung legalisieren, Vaterschaftsurlaub nach Geburt einführen. Nichts davon ist passiert. Die familienpolitische Bilanz der progressiven Parteien ist ein Desaster, man muss es so deutlich sagen. Zwischen den vielen innen- und außenpolitischen Krisen wird alles, was mit Familie zu tun hat, weiterhin als „Gedöns“ behandelt, auch wenn es niemand so abwertend sagt. Rein demografisch sind Familien immer weniger bedeutsam. Die Geburtenzahlen gehen seit den 1990er Jahren zurück, Haushalte mit minderjährigen Kindern werden seltener, die meisten Menschen haben mit Familien mit Kindern unter 18 im Alltag wenig zu tun. Eine besorgniserregende Entwicklung, weil es das Land insgesamt weniger dynamisch und offen macht.
In deinem Buch „Frauen und Kinder zuletzt“ habe ich erneut über die Forderung eines Kinderwahlrechts gelesen und meine Meinung dazu grundlegend geändert (ich sehe es jetzt als absolut notwendig an). Denkst du, die Politik wäre eine andere, gäbe es ein Kinderwahlrecht?
Kinder haben keine Lobby, sie haben es extrem schwer, in der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Knapp 14 Millionen Menschen sind in Deutschland unter 18 Jahre alt, das entspricht einem Sechstel der Bevölkerung. Der Anteil der Menschen, die über 60 Jahre alt sind, ist mit knapp 24 Millionen deutlich größer. Sie sind die wichtigste und größte Wählergruppe. In einer alternden Gesellschaft wird es immer stärker darum gehen, dass die Interessen der Alten dominieren. Schon in diesem Wahlkampf merkt man, wie die Parteien gezielt die Rentner ansprechen. Wer spricht dann aber noch für die Kinder? Wer verleiht ihren Interessen Gehör? Das Wahlrecht für Kinder könnte ein Baustein sein für eine demokratischere, gerechtere Welt, in der Kinder nicht mehr Bürger zweiter Klasse sind.
Wie könnte dieses idealerweise aussehen und umgesetzt werden?
Es gibt verschiedene Ansätze und Überlegungen, das ist im Moment noch sehr theoretisch. Ich bin für ein Wahlrecht ab Geburt, das in den ersten Jahren die Eltern übernehmen. Aber ich bin auch für andere Ideen offen. Eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre wäre ein Anfang.
Wie können wir, solange es dieses Wahlrecht nicht gibt, die Interessen und relevanten Themen unserer Kinder auf die Agenda bringen?
Selbst die Parteien wählen, die das Thema auf der Agenda haben. Familienthemen ins Gespräch bringen, über die Schwierigkeiten reden, die man im Alltag hat, sich vernetzen, die Perspektive der Kinder einbringen. Über die Lage in den Kitas und Schulen, in denen überforderte Erzieherinnen oft nur noch für „Verwahrung“ sorgen können sprechen, über die überfüllten, überkommenen Lehrpläne in den Schulen. Sich engagieren, im Elternbeirat, im Förderverein, den örtlichen Abgeordneten bei Problemen ansprechen. Sich mit anderen austauschen und nicht den Mut verlieren. Familienfreundlichkeit fängt bei sich selbst an. Als meine Kinder kleiner waren und ich in einer Vollzeitleitungsstelle gearbeitet habe, wurde mir oft gesagt, dass bei mir ja die Karriere vorgeht und die Kinder deshalb leiden müssen (weil ihr Vater sich oft kümmert). In den Mütternetzwerken, die sich nach Kita und Schule trafen, war ich wegen der Arbeit nicht dabei, mein Mann wurde ausgeschlossen. Das gibt es eben auch.
Wir stecken mal wieder in einer Krise, in der vor allem Kinder, Frauen und marginalisierte Gruppen diejenigen sind, die das Nachsehen haben. Haben wir die wenigen Errungenschaften seit der Pandemie wieder verloren oder gibt es auch einen Hoffnungsschimmer, den wir nur gerade nicht sehen?
Ich muss eine Gegenfrage stellen: Welche Errungenschaften haben wir seit der Pandemie gewonnen? Ich sehe nicht, was sich verbessert hat. Insgesamt ist die Pandemie Teil eines Backlashs. Wenn man sich die Geschichte anguckt, dann geht das immer so: Der Fortschritt ist eine Schildkröte. Und er wird einem nicht geschenkt. Wenn man den Blick etwas weitet, fallen jedoch einige Verbesserungen auf: Die Rolle der Väter. Auch wenn Deutschland in vielerlei Hinsicht ein sehr traditionelles, gesellschaftlich rückständiges Land ist, hat sich der Einsatz von Vätern in Familien verbessert. Viele Familien versuchen zumindest, die Familien- und Hausarbeit aufzuteilen. Das ist ein Fortschritt. Kindergärten, Krippen und Ganztagsschulen sind in der Bundesrepublik nicht mehr wegzudenken. Wenn die Zahl der Kinder zurückgeht, steckt darin womöglich auch die Chance, dass man sich um die Kinder, die da sind, besser kümmert.
Hauptstadtjournalistin Katharina Hamberger: „Kindern Politik erklären ist eine der schwersten Aufgaben“
Katharina Hamberger kenne ich, Lisa, über Instagram. So genau kann ich kaum mehr nachvollziehen, wie es dazu kam, aber im Sommer 2022 leihte sie mir quasi unbekannterweise eine Kraxe für unseren Wanderurlaub und seitdem haben wir Kontakt. Ich bin großer Fan und täglich beeindruckt von Katharinas politischer Expertise und der Art, wie sie diese auf ihrem Instagram-Kanal vermittelt. Als DLF-Korrespondentin sendet sie täglich aus dem Bundestag. Danke, dass du dir die Zeit für unsere Fragen genommen hast.
Als Korrespondentin im DLF-Hauptstadtstudio berichtest du täglich aus dem Epizentrum der Politik. Wie hat sich dein Blick auf das politische Geschehen verändert, seit du Mutter bist?
Natürlich habe ich einen anderen Blick auf Familienthemen bekommen. Denn man hat doch nochmal eine andere Perspektive auf bestimmte Entscheidungen, wenn man die Situation auch kennt. Deshalb ist es auch so wichtig, dass Redaktionen möglichst divers aufgestellt sind, um vielfältige Perspektiven auf ein Thema widerspiegeln zu können. Und es geht gar nicht darum, dass ich als Mutter jetzt nur noch über Familienthemen berichte, oder Menschen mit Migrationsgeschichte über Migrationsthemen, sondern, dass in der Diskussion in Redaktionen keine blinden Flecken entstehen.
Was sich aber auch verändert hat, ist mein Blick von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in diesem „Epizentrum“. Denn dort zu arbeiten, heißt in der Regel keinen 9–5-Job zu haben. Unser Job, aber natürlich auch der von Politiker*innen, ist mitunter bestimmt von aktuellen politischen Ereignissen. Aber auch Hintergrundgesprächen, Abendveranstaltungen sowie außerplanmäßig am Wochenende arbeiten gehören dazu. Wenn die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl beginnen, werden wir sicher auch wieder Nachtsitzungen erleben und auch darüber berichten. Das erfordert u. a. für Familien ein hohes Maß an Koordination. Das dürfte auch mit ein Grund sein, warum gerade Frauen, die ja leider überwiegend noch die Care-Arbeit übernehmen, im Hauptstadtjournalismus noch unterrepräsentiert sind.
Fällt es dir manchmal schwer, abends die Politik vor der Wohnungstür zu lassen oder möchtest du das auch überhaupt nicht?
Das passiert ganz selten, dass ich mal einen längeren Zeitraum politische Ereignisse ganz außen vor lassen – ist aber auch schwer, schließlich begegnet uns Politik überall, auf Social Media, im Fernsehen, wenn ich im Supermarkt am Zeitungsständer vorbeigehe. Manchmal kommt nachts eine Eilmeldung und plötzlich gehts in unserem Redaktions-Chat wieder rund ( soviel zu 9–5). Aber mich stört das eigentlich nicht. Ich finde Politik und politische Prozesse spannend und empfinde das auch als Privileg, vieles im Maschinenraum beobachten und darüber berichten zu können. Ohne diese Leidenschaft ginge der Job aber auch nicht. Manchmal bremst mich allerdings mein Mann aus und sagt, er würde z. B. beim Abendessen gern auch mal über was anderes sprechen :)
Du hast zwei Kinder. Wie redest du mit deinem älteren Kind über Politik? Hast du einen Tipp für unsere Leser*innen, ab wann und wie man diese Themen einem Kind näherbringen kann?
Dazu vorne weggeschickt: Kindern Politik erklären ist eine der schwersten Aufgaben. Denn man darf sie nicht unterschätzen – die verstehen schon viel – aber muss dennoch alles verständlich erklären. Und Kinder fragen einfach auch knallhart nach, wenn sie was nicht verstehen. Man kann sich also nicht hier Fachbegriffen verstecken. Und zu lang darf es auch nicht sein. Was oft hilft, sind Vergleiche mit Situationen, die die Kinder kennen, also z. B. beim russischen Überfall auf die Ukraine: „Stell dir vor, dein Banknachbar in der Schule nimmt dir deinen Stuhl weg und sagt auch noch, du bist schuld daran.“
Aber es gibt auch Bücher oder Podcasts, die da helfen. Da empfehle ich die „Kakadu“ Kindernachrichten oder Logo!. Bei uns kam auch das Buch „Im Dschungel wird gewählt: So funktioniert Demokratie“ super an.
Du begleitest vor allem die CDU und bist, was die Themen dieser Partei angeht, ein absoluter Profi. Ich stelle es mir als oftmals sehr frustrierend vor, zu sehen, wo der Fokus dieser Partei liegt und wie sehr er beispielsweise Eltern, Familien oder Kinder ausklammert. Würdest du gerne auch mal eine andere Partei begleiten?
Meine journalistische Arbeit orientiert sich nicht an Sympathien oder politischen Präferenzen. Für mich steht im Vordergrund zu erklären und einzuordnen, warum eine Partei oder Politiker*innen welche Entscheidungen treffen, auch wie Machtfragen entschieden werden – oft hängt auch beides zusammen – und das natürlich immer mit der entsprechenden kritischen Distanz. Das würde für eine andere Partei genauso gelten. Und tatsächlich finde ich die Union und wie sie sich entwickelt spannend. Sie ist, glaube ich, gerade in einer Phase, in der sich viel entscheidet, wo sie hingeht und ob sie Volkspartei bleibt.
Zusätzlich mache ich auch noch Innenpolitik, also Asyl, Migration, innere Sicherheit. Da ist es für mich auch ein großes Anliegen, einzuordnen, was manchmal hinter einfachen Botschaften steckt und was Entscheidungen tatsächlich bedeuten (z. B. Grenzkontrollen).
Übrigens hat die Union gar nicht so wenig zur Familienpolitik im Wahlprogramm und auch im Grundsatzprogramm (mal unabhängig davon, wie man das bewertet). Aber diese Themen fallen leider – nicht nur bei der Union, auch bei anderen Parteien – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung hinten runter. Da müssen sicher auch wir Journalist*innen uns an die eigene Nase fassen.
Um das politische Alltagsgeschehen besser zu verstehen, sollte man natürlich dir folgen, danke für deine Arbeit. Wo und wie kann man als Eltern (sprich mit wenig Zeit) noch gut informiert sein und sich vllt. sogar einbringen?
Ich finde es gibt mittlerweile sehr viele gute Insta-Accounts (Nini erklärt Politik, Guten Morgen Deutschland, Sally Starken, Iris Sayram, Elisabeth Kolbitz, der Insta-Accounts des Bundestags, bei dem man viel über politische Abläufe lernt), die sich mit Politik auseinandersetzen. Hier finde ich es wichtig, darauf zu achten, dass die Leute hinter den Accounts nicht nur Meinung haben, sondern auch Ahnung, also mit entsprechenden Quellen arbeiten und Dinge auch mal erklären. Ich finde auch Podcasts können Eltern gut in ihren Alltag einbauen, mal beim Einkaufen oder Spazierengehen hören. Da empfehle ich natürlich unsere Deutschlandfunk-Podcasts, also den „Politikpodcast“ und „Der Tag“. Gut sind aber auch die Politikpodcasts von Zeit, taz, FAZ und Welt (also die gesamte Bandbreite), Anne Will oder Apokalypse und Filterkaffee. Und wer mal in Sitzungswochen (wann die sind, kann man auf der Bundestagshomepage einsehen) tagsüber Zeit hat – beim Wäsche zusammenlegen oder so – dem empfehle ich immer, bei Phoenix reinzuschauen. Die übertragen alle Parlamentsdebatten. Wer sich einbringen will, dem empfehle ich, mal beim Ortsverband der Partei vorbeizuschauen, die einem nahesteht. Da kann man sich oft schon niedrigschwellig einbringen. Es ist wahnsinnig wichtig, dass sich da auch Menschen mit frischem Blick engagieren.
Initiative Eltern Gegen Rechts: „Wir kommen aus der Mitte der Gesellschaft und wir sind viele!”
Die Initiative Eltern Gegen Rechts lief uns erstmals bei der Demo zur Brandmauer, auf der auch unser Headerfoto entstanden ist, bewusst über den Weg. Denn gemeinsam mit Fridays for Future und Campact haben sie diese und viele weitere Demos organisiert und angemeldet. Eltern Gegen Rechts, das klingt fabelhaft und nach etwas, das es ganz dringend braucht. Klar, dass diese tollen Menschen in diesem Newsletter nicht fehlen durften. Danke für eure Arbeit und eure Zeit in diesen turbulenten Tagen!
Wie habt ihr euch gefunden und organisiert und wie viele Mitglieder zählt Eltern gegen Rechts aktuell?
Nach den Recherchen von Correctiv im letzten Jahr gab es eine große Protestwelle in ganz Deutschland, an der auch viele von uns teilgenommen haben. Da haben wir gemerkt, dass Familien bei Demonstrationen oft nicht mitgedacht werden und politische Teilhabe deswegen manchmal schwieriger ist. Inspiriert von den Omas gegen Rechts haben sich dann einige befreundete Familien zusammengetan und Eltern gegen Rechts gegründet - um diese empfundene Lücke zu schließen, aus der Ohnmacht rauszukommen und als Eltern aktiv zu werden. Die zunehmende Verschiebung des politischen Diskurses und der Zulauf zur AfD beschäftigen uns ja auch weiterhin. Unsere erste selbst organisierte Familienkundgebung stieß auf so positive Resonanz, dass wir immer weiter gemacht haben und unter anderem bei der Großdemonstration vor der Europawahl dabei waren und bei Social Media präsenter geworden sind. Nach und nach sind immer mehr Menschen dazu gekommen. Mittlerweile sind wir in Berlin eine Gruppe von etwa 100 Menschen, die sich je nach eigenen Kapazitäten und Anlass berlinweit oder in den eigenen Kiezen einbringen. Es gibt mittlerweile Gruppen in ganz Deutschland und bald sogar in Österreich.
Gemeinsam mit Campact und Fridays for Future habt ihr in Berlin einen neuen Startschuss für Demonstrationen gegen den Rechtsruck und zum Erhalt der Brandmauer gegeben. Habt ihr mit diesem Ausmaß gerechnet und welche Erfolge haben sich aus der Demonstration für eure Forderungen ergeben?
Der Erfolg der Demonstration im Januar 2025 hat uns wirklich überwältigt und wir sind unglaublich dankbar für die Aufmerksamkeit und den Zuspruch, den wir bekommen. Uns freut vor allem, dass so viele Familien ganz selbstverständlich teilgenommen haben und sichtbar ein Zeichen gegen Rechts gesetzt haben. Zu zeigen, dass wir als Eltern aktiv sein und für unsere Demokratie und solidarische Gesellschaft einstehen können, ist uns ein großes Anliegen. Denn wir nehmen wahr, dass sich viele Eltern große Sorgen um die Zukunft machen, aber nicht so genau wissen, wie sie selbst aktiv werden können – das ging uns auch so, bevor wir angefangen haben. Durch die Demo sind viele Menschen auf uns aufmerksam geworden, die sich selbst engagieren wollen. Aus allen Teilen Deutschlands und sogar aus Österreich haben uns Eltern geschrieben, die eine Ortsgruppe gründen wollen. Das freut uns sehr und macht ganz viel Mut, dass so viele Menschen sich zusammenfinden und selbst lokal aktiv werden wollen. Und wir haben eine große Medienaufmerksamkeit bekommen. Dadurch kommen wir Eltern mit klaren Anliegen für die Zukunft unserer Kinder in der öffentlichen Debatte vor und können zeigen, dass sich viele von uns Sorgen machen und die Demonstrationen nicht als gefährlich und linksextrem abgetan und delegitimiert werden können – denn wir kommen aus der Mitte der Gesellschaft und wir sind viele!
Gerade mit Kindern (und im Winter) ist es schwer, das Demonstrationsrecht wahrzunehmen. Auch, wenn es gerade für Eltern / Familien so wichtig ist, sich sichtbar zu machen. Wie schafft ihr es mit Eltern gegen Rechts, anderen Eltern das Demonstrieren möglich zu machen? Was unterscheidet eine Familiendemo von einer regulären Demonstration?
Gegen die Kälte können wir natürlich auch nichts machen, aber durch eine herzliche Einladung, gute Atmosphäre und ein kindgerechtes Programm schaffen wir es trotzdem, dass sich alle wohlfühlen und Familien mitdemonstrieren können. Der größte Unterschied zu einer regulären Demonstration ist wohl, dass wir sehr auf eine positive Stimmung achten, damit sich alle wohl fühlen und die Kinder keine Angst bekommen. Das schaffen wir durch positive Botschaften und Forderungen, bunte Bilder und Plakate, kindgerechte Redebeiträge und Musik. Bei kleineren Demonstrationen haben wir thematisch passende Bastelideen angeboten. Bei den großen Demos organisieren wir einen extra Familienbereich mit ein paar Snacks, Bobby Cars, Hulahoops und Straßenkreide. Hier können sich die Kinder etwas freier bewegen, spielen und bekommen trotzdem das Bühnenprogramm mit. Die Lautstärke ist an Kinderohren angepasst und alle nehmen stärker aufeinander Rücksicht. Es ist uns sehr wichtig, dass sich Eltern und Kinder gesehen fühlen, dass die Familien spüren, dass sie wichtig sind und bei der Planung mitgedacht werden. Das schafft Verbundenheit, macht Lust auf mehr und viele schreiben uns begeistert, dass sie selbst aktiv werden und sich vernetzen wollen. Das ist letztlich das Allerwichtigste: dass wir uns vernetzen, gegenseitig unterstützen und Wege finden für die Zukunft unserer Kinder gemeinsam als Familien mit unseren Kids einzustehen.
Euer Fokus liegt nicht, wie man erwarten könnte, rein auf familienpolitischen Themen, sondern ihr setzt euch v.a. ein gegen Ableimus, Queerfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Islam-Feindlichkeit – inwiefern sind das Themen, die Eltern auch betreffen und uns allen wichtig sein sollten?
Familienpolitik ist natürlich zentral für uns Eltern und auch für uns als Gesellschaft, aber darauf liegt tatsächlich nicht unser Fokus. Als überparteiliche Initiative geht es uns um die Basis unserer Gesellschaft und unseres Zusammenlebens – unserer Demokratie und damit dem Grundsatz, dass die Menschenwürde für alle gilt und alle die gleichen Rechte haben. Die Bedrohung dieses Grundsatzes ist für uns nicht abstrakt, sondern trifft unsere Familien ganz direkt. Die Angst vor rassistischen Übergriffen, vor einer ungewissen Zukunft in Deutschland wenn das eigene Kind zum Beispiel mit einer Behinderung lebt oder queer ist, ist für viele Familien schon lange Realität und wird immer bedrohlicher. Der Blick in die USA macht auf erschreckende Weise deutlich, wie schnell sicher geglaubte Rechte und die Grundlagen des Zusammenlebens verloren gehen können. Es ist schwer auszuhalten, dass es die Gefahr gibt, dass in ein paar Jahren eine rechtsextreme Partei (mit)regieren könnte und das umsetzt, was im Parteiprogramm steht. Man will es sich nicht vorstellen und doch müssen wir es ernst nehmen und versuchen, genau das zu verhindern. Denn letztlich verlieren alle Kinder, egal woher ihre Eltern oder Großeltern kommen, egal welcher Religionsgemeinschaft sie angehören, welche sexuelle Orientierung, welche Stärken und Herausforderungen oder welches Geschlecht sie haben – zu freien, mutigen, offenen, kreativen und neugierigen Erwachsenen können sie in einer undemokratischen Welt nicht werden. Insoweit können wir als Eltern das gar nicht trennen, denn unsere Kinder werden in dieser Zukunft leben müssen.
Was habt ihr mit Eltern gegen Rechts für die Zukunft geplant und welche Aktionen werden noch vor der Bundestagswahl passieren? Und natürlich: Wie kann man bei sich Eltern gegen Rechts engagieren oder sogar eine eigene Ortsgruppe gründen?
Die Bundestagswahl steht unmittelbar bevor und bis dahin werden wir den Fokus weiter auf die Demonstrationen richten. Bei der großen Demo am 16.02. in Berlin waren wir wieder mit einem Programm für Familien dabei, unterstützen aber auch andere Demos und trotzen mit allen anderen der Kälte.
Im Dezember haben wir außerdem einen Appell an die Politik gestartet, den bisher 80.000 Menschen unterschrieben haben. Darin fordern wir die Parteien dazu auf, die Probleme in Deutschland klar in den Blick zu nehmen, anstatt Ablenkungsdebatten zu führen und die rechten Narrative zu bedienen. Diesen Appell möchten wir den Parteien für die neue Legislaturperiode als Auftrag mitgeben – denn Wohnungsnot, Kinderarmut, Bildungsungerechtigkeit und nicht zuletzt die Klimakrise müssen angegangen werden. Für unsere Kinder, aber auch zum Erhalt unserer Demokratie. Denn wenn die Menschen die Demokratie nicht als wirksam erleben, werden sie sie nicht schützen.
Wir freuen uns über alle, die unsere Werte teilen und mitmachen oder Ortsgruppen gründen wollen. Wie gesagt, melden sich gerade Menschen aus ganz Deutschland, die wir dann untereinander vernetzen. Wer Interesse hat, schreibt am besten eine kurze E-Mail an info@eltern-gegen-recht-berlin.de oder eine Nachricht bei Instagram – wir freuen uns, wenn wir eine deutschlandweite Bewegung werden!
Gelesen, gelikt und nachgedacht …
Wir sind Fans von handfussmund, den Instagramkanal von Dr. Nibras Naami und PD Dr. Florian Babor, auf dem sie Kindermedizin verständlich für uns Eltern erklären. Letzte Woche wurde es auch bei ihnen politisch und sie haben sie mit Luisa Neubauer darüber diskutiert, wie wichtig Klimaschutz für die Zukunft unsere Kinder ist.
Feministin und Diversity-Beraterin Sigrid Böhm gibt uns in diesem Post einen Überblick darüber, was die Parteien in ihren Wahlprogrammen für Familien tun wollen und was nicht. In den Kommentaren findet ihr noch wichtige Ergänzungen, wie zum Beispiel von Teresa Bücker zum Thema Kinderwunschbehandlungen.
Dank Solomütter noch einmal auf einen Blick – das sagt die AfD über Alleinerziehende und Familien:
Ihr habt Lust und Zeit, euch weiterzubilden? Dann schaut mal bei der Harvard University vorbei. Sie haben gerade elf kostenlose Onlinekurse für 2025 veröffentlicht.
Butter bei die Fische: Wir müssen Debatten richtig einordnen, zum Beispiel mit Zahlen und Fakten. Johannes Wagner hat diese Statistiken zusammengestellt und wir lassen die Diagramme für sich sprechen.
Wir lieben die Kampagne von ARMEDANGELS x Eike König rund um die Bundestagswahl. Mit ihrer gemeinsamen limitierten Kollektion wollen sie ein Zeichen für Wahlbeteiligung und Demokratie setzen. Der gesamte Gewinn geht an Organisationen, die es sich als Ziel gesetzt haben, unsere Demokratie zu stärken.
Räuberfuchs, ein Onlineshop für vielfältige, stärkende Kinderbücher und freies Spiel, hat eine tolle Buchliste zusammengestellt, die Friedrich Merz und der AfD bestimmt nicht gefallen würde. Mögen wir sehr!
Wie erkläre ich meinen Kindern, wie wichtig Demokratie ist? Das hat sich die VOGUE-Autorin Cordula Funke gefragt und mit Expert'*innen gesprochen. Den Artikel vom 17. Februar 2025 könnt ihr hier lesen.
Ihr wollt eure Kinder mit Videoformaten an die Bundestagwahl und Politik im Allgemeinen heranführen? Dann können wir sehr die Mediatheken von logo! vom ZDF und neuneinhalb vom WDR sehr empfehlen.
In drei Wochen erscheint die nächste Ausgabe von SAND und den neuen Rhytmus behalten wir erst einmal bei, denn Lisa arbeitet ab Mitte März wieder fest und Franzi hüpft ab übernächster Woche in den Mutterschutz. Natürlich nehmen wir euch wie gewohnt hier und auch auf Instagram mit auf die nächsten Steps unserer großen Lebensreise.
Habt ihr Input, Fragen, Ideen? Schreibt uns auf Instagram oder per Mail an hello@allessand.de!